Solidaritätszumutungen in der COVID-19-Krise

Solidarität ist kein Tauschgeschäft, bei dem sich tendenziell Gleiche mit dem gerade Benötigten aushelfen. Solidarität ist etwas grundsätzlich anderes als das, was wir als Marktgeschehen beschreiben, bei dem jeder Austausch, jedenfalls vom Grundsatz her, einer zu beiderseitigem Nutzen ist. Unter der semantischen Hegemonie des Neoliberalismus hat sich in den letzten Jahren eine Vorstellung durchgesetzt, wonach auch Solidarität eine Art von Investition sei, bei der nur der Zeitpunkt und der Modus der Rückzahlung unklar ist. Solidarität wurde so im allgemeinen Verständnis zu einer undurchschaubaren Mischung aus Risikoinvestition und Versicherung, einer Ausgabe also, bei der man vielleicht nichts zurückbekam, womöglich aber auch mehr, als man ursprünglich verausgabt hatte, und die man mit der Erwartung verband, dass einem geholfen werde, wenn es vonnöten war, weil man zuvor ja selbst geholfen hatte. Auf diese Weise wurde den Menschen einer hochgradig individualisierten Gesellschaft eine Vorstellung schmackhaft gemacht, die ihre Wurzeln in vorindividualistischen Zeiten hat.

 

EICTP Impositions Of Solidary HMünkler

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